Dienstag, 29. Mai 2007

Eine Milliarde

Eine Milliarde für den Fußball

Es war in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als sich die indische Fußballnationalmannschaft regelmäßig in die Siegerlisten der asiatischen Turniere eintragen durfte. Sogar bis zur Weltmeisterschaft in Brasilien hätte man es fast geschafft, wäre da nicht das Problem mit den Schuhen gewesen.

In Indien spielte man seinerzeit noch ohne selbige, was den hohen Herren der FIFA missfiel. Daraufhin lud man die indischen Kicker wieder aus.

Dass dies vielleicht nicht die weiseste Entscheidung gewesen ist, zeigte sich bei den Olympischen Spielen 1956 in Melbourne. Hier schafften es die Fußballer vom indischen Subkontinent immerhin bis ins Halbfinale, selbstverständlich ohne Schuhe.

Doch diese Erfolge scheinen lange her, Vergangenheit. Wie sieht es mit der Entwicklung des Fußballs im zweit-bevölkerungsreichsten Staat der Erde aus?

Das „menschliche“ Potential muss definitiv da sein bei einer Bevölkerungszahl von über einer Milliarde! Jedoch, denkt man an Indien, kommt einem nicht gleich Fußball in den Sinn. Eigentlich kommt einem kaum eine Sportart in den Sinn, in der Indien zur Weltklasse gehört.

Doch, eine Milliarde Menschen können nicht nur unsportlich sein.

Eine Milliarde Menschen können auch nicht resistent gegen den Massenvirus Fußball sein.

Und doch, andere Sportarten, vor allem Cricket und Hockey, haben dem Spiel mit dem runden Leder den Rang abgelaufen. Zumindest hat das, betrachtet man das mediale Interesse bzw. die mediale Präsenz, den Anschein.

Doch, woher kommt dieser Anschein?

Chris Punnakkattu Daniel, Chefredakteur des führenden Fußballportals IndianFootball.com, berichtet folgendes: „Die indische Cricket Nationalmannschaft konnte in der Vergangenheit große Erfolge verzeichnen (Weltmeister, Asienmeister, etc.).

Dadurch konnte man das Interesse der Medien und zahlreicher Unternehmen auf Cricket fokussieren und die Früchte ernten.

Millionenschwere Sponsorenverträge, Dauerberichterstattungen in Funk und Fernsehen, seitenweise Artikel und Reportagen in Printmedien, etc.

Diese Entwicklung hat [auch] allen anderen Sportarten in Indien geschadet! Egal ob Fußball, Tennis, Hockey […], keine dieser Sportarten konnte dagegen ankämpfen und der Entwicklung der einseitigen Berichterstattung in den Medien und dem einseitigen Interesse von potenziellen Sponsoren Paroli bieten!“

Dies führt nun dazu, dass man, vor allem in Europa, geneigt ist zu denken, der Fußball habe in Indien keinen besonders hohen Stellenwert.

Das ist selbstverständlich in Wirklichkeit nicht so. Glaub man Chris Punnakkattu Daniel, so wird „Fußball überall im Land gespielt.“

Selbst in den Slums, den Vorstädten der Metropolen wird gekickt. Es gibt dort, unter den Ärmsten der Armen, sogar vereinzelt Mannschaften, die von Hilfsorganisationen unterstützt werden. Unter, man mag es sich selbst nicht vorstellen, dramatischen Umständen erkennen Kinder und Jugendliche ihre Liebe für den Sport, der uns allen so am Herzen liegt. Sie spielen, sie rennen hinter der Lederkugel her, sie vergessen ihre Armut. Aus dieser ersten Liebe erwächst irgendwann vielleicht eine Chance.

Der Fußball ist für einige, zugegeben wenige, besonders arme Inder eine Möglichkeit aus der Armut zu fliehen. Ähnlich wie in anderen unterprivilegierten Staaten verdient der professionelle Fußballer, im Vergleich zur Masse der Bevölkerung, einen immens höheren Lohn. Dieser lockt gar ausländische Profis in das Land entlang des Ganges.

Allerdings fördern Eltern ihre Kinder nicht gerade. Sport steht bei weitem nicht an erster Stelle. Eine „ordentliche Ausbildung“ wird vorgezogen. Sport wird nicht als eine Chance angesehen, dem Elend zu entfliehen, auch wenn es in der Tat so ist.

Dies ist ein Problem, welches die Nachwuchsförderung nicht gerade einfacher macht.

Chris Punnakkattu Daniel meint dazu: „Aus diesem Grund gibt es in allen Sportarten Probleme genug Nachwuchs zu gewinnen bzw. das mögliche Maximum an Talenten an Land zu ziehen und zu fördern! Dies ist auch eine Erklärung dafür, warum Indien nicht als Sportnation gilt bzw. in Erscheinung tritt!“

Profis in Indien verdienen, im Vergleich zur Otto-Normal-Bevölkerung sehr gut. Eben deshalb ist es umso unverständlicher, dass die Jugend, vor allem von ihren Eltern, so wenig gefördert wird.

Man scheint dies inzwischen nun auch im Lande selber erkannt haben.

Chris Punnakkattu Daniel, ehemals ehrenamtlicher Berater des indischen Nationaltrainers, zeitweiliger Teammanager der indischen U17 Nationalmannschaft und, mit seinen Kollegen von IndianFootball.com, Informationsquelle für und über den indischen Fußball, sagt: „Ein Umdenkprozess ist im Gange und viele berühmte indische Sportler setzen sich für die Nachwuchs- und Überzeugungsarbeit ein!“

Gibt es auch kein wirkliches Scouting System, welches die jungen Talente in ihrer unwirklichen Umgebung aufspürt, so schaffen es doch immer wieder junge Spieler, oft gefördert durch z.B. die India Youth Soccer Association (IYSA), ihren Weg zu machen und ehemals unbedeutende Straßenkicker verdienen ihren Lebensunterhalt in einer der drei Profiligen. Aufgrund der weitestgehend fehlenden Scouts arbeitet Chris Punnakkattu Daniel inzwischen mit seinem Kollegen Arunava Chaudhuri daran, in Europa indischstämmige Spieler für die heimatlichen Auswahlmannschaften zu begeistern.

Die Funktionäre und Förderer scheinen die Hoffnung also noch nicht ganz aufgegeben zu haben, in absehbarer Zeit mal wieder erfolgreicher an einem internationalen Turnier teilnehmen zu können.

Verwunderlich wäre es nicht, haben es doch so manche Spieler aus bitterster Armut, aufgewachsen in großen Blechbüchsen, geschafft, einen Profivertrag zu ergattern. Der Kapitän der indischen Nationalmannschaft schaffte es eine Zeit lang in Europa einen Vertrag zu ergattern. Baichung Bhutia, ein ausgezeichneter Techniker, spielte für drei Jahre beim englischen Drittligisten Bury FC, musste dann aber doch der sehr körperlichen Spielweise auf der Insel Tribut zollen. Dennoch, so hofft Chris Punnakkattu Daniel, werden einige indische Spieler in Zukunft den Sprung nach Europa schaffen, um dort für den gesamten indischen Fußball in die Lehre zu gehen, die Aufmerksamkeit auf den indischen Fußball lenken zu können und endlich mehr Sponsoren für den Fußball in Indien begeistern zu können.

In diesem Land der Extreme ist es natürlich vollkommen unabdingbar, dass es Menschen gibt, die sich professionell mit dem Fußball auseinandersetzen. Viele Funktionäre sind aber gleichzeitig in hohen politischen Positionen. Das nützt selbstverständlich bei der Einflussnahme, bedeutender für die Entwicklung wäre aber, dass wichtige Positionen mit echten Fachleuten besetzt werden. Eine Nationalmannschaft, die nur zwei Spiele im Jahr absolviert, kann sich beim besten Willen nicht wirklich weiter entwickeln.

Das Marketing und die Organisation müssen dringend verbessert werden, damit Chris Punnakkattu Daniels Traum, den er schon 2004 in einem Interview mit dem footage-magazin äußerte, in Erfüllung geht: „Wir können, realistisch gesehen, auf eine Teilnahme bei der WM 2010 in Südafrika hoffen. Es gibt immer wieder Überraschungsmannschaften, die den Sprung in das Hauptfeld schaffen. Um das Ziel 2010 zu schaffen, muss kontinuierlich gearbeitet werden und der positive Trend der letzten Jahre fortgesetzt werden.“

P.S.: Inzwischen musste Chris seine Prognose etwas korrigieren und sieht die WM 2018 als realistisch an. Aber, man weiß ja nie …

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